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Entwicklung des Sehvermögens bei Kindern: Interview mit Dr.in Irene Ruhswurm 

10.10.2024
Dr. Irene Ruhswurm untersucht ein Kind, das auf dem Arm seiner Mutter ist
  • Augengesundheit

Wussten Sie, dass sich das Sehvermögen bei Kindern erst in den ersten 12 Lebensmonaten entwickelt? Oder dass es wichtig ist, bestimmte Augenerkrankungen schon frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, weil das Kind sonst gar nicht mehr sehen lernen kann? 

World Sight Day: Kinderaugengesundheit im Fokus  

Am 10. Oktober ist Welttag des Augentlichtes (“World Sight Day”), der dieses Jahr unter dem Motto Kinderaugengesundheit steht. Licht für die Welt arbeitet seit über 30 Jahren daran, die Augengesundheit in ausgewählten Ländern in Afrika zu verbessern. Seit einigen Jahren mit Schwerpunkt auf Kinderaugengesundheit. 

Anlässlich des Welttages des Augenlichtes haben wir mit Dr.in Irene Ruhswurm gesprochen. Sie ist Augenärztin & ehrenamtliches Vorstandsmitglied von Licht für die Welt und hat ein paar spannende medizinische Fakten, betreffend die Augengesundheit von Kindern, für uns. 

Porträtbild von Dr. Irene Ruhswurm im weißen Kittel mit gelbem Licht für die Welt T-Shirt darunter

Frau Dr.in Ruhswurm, warum ist es so wichtig das Sehvermögen von Kindern, im wahrsten Sinne des Wortes, stets “im Auge zu haben”? 

Die gesamte Entwicklung der Kinder hängt von einem guten Sehvermögen ab: Objekte erkennen, Greifen, räumliches Sehen, Koordination, … 

Was sind die wichtigsten Schritte bei der Entwicklung des Sehsinns und in welchem Alter passieren diese? 

Es beginnt schon in der Schwangerschaft: Gewisse Infektionskrankheiten können sich schwerwiegend auf die Entwicklung des Sehens beim ungeborenen Kind auswirken. Beispielsweise kann eine Erkrankung der Mutter an Röteln eine Katarakterkrankung beim Kind verursachen oder Toxoplasmose Netzhautnarben, die zu einem schlechten Sehen führen. 

Nach der Geburt entwickelt sich der Sehsinn Monat für Monat weiter. Im ersten Monat können die Kinder zunächst einmal nur Grauschattierungen erkennen. Im nahen Bereich (ca. 20-30 cm) können sie schon Objekte wahrnehmen und zum Beispiel sehr bald das Gesicht der Mutter erkennen.  

Im 2. und 3. Monat kommt es langsam zum räumlichen Sehen. Die Kinder können schon beginnen zu greifen.  

Ungefähr vom 4. bis 6. Monat steigt die Sehkraft weiter an. Anfangs liegt sie bei zirka 5%, im 6. Monat schon bei 60-80%. Das entspricht bereits fast der Sehschärfe eines Erwachsenen. 

Im 7. bis 12. Monat entwickeln die Kinder eine Tiefenschärfe, wie sie bei einem Erwachsenen vorzufinden ist. Sie können dann schon sehr gut sehen. Das ist auch wichtig, da sie in diesem Alter schon beginnen mobil zu werden und Gegenstände und Gefahren erkennen müssen. 

Wie wird das Sehvermögen bei Säuglingen untersucht? 

Es gibt Gegenstände, mit denen man überprüfen kann, wohin die Kinder schauen. Das sind sogenannte Fixationsobjekte. Man kann sie sich so vorstellen wie große Tischtennisschläger, bzw. Gegenstände mit einem großen Streifenmuster. Wenn die Kinder diesen Gegenständen mit ihrem Blick folgen, weiß man, dass das Kind sieht. Indem man größere oder kleinere Streifenmuster präsentiert, kann man eine Art Sehschärfe feststellen. 

Gibt es in Österreich ein ausreichend großes Bewusstsein dafür, dass sich die Sehschärfe bei Kindern erst entwickelt? Werden Sehschwächen und Augenprobleme bei uns in Österreich rechtzeitig erkannt? 

Ja, dieses Bewusstsein gibt es sicherlich. Bei der Geburt werden bei uns Babys direkt auf Augenkrankheiten, besonders auf Grauen Star, untersucht. Diesen kann es auch bei Kindern geben und das ist besonders gefährlich: Wenn Grauer Star die Sicht verhindert und nicht rechtzeitig erkannt wird, kann ein Kind nicht mehr sehen lernen. Deshalb ist es wichtig, Augenerkrankungen wie Grauen Star frühzeitig zu erkennen.

Und glücklicherweise gibt es bei uns die sogenannte Mutter-Kind-Pass-Untersuchung, wo vorgesehen ist, dass Kinder rund um den ersten und zweiten Geburtstag untersucht werden. Wenn die Kinder unauffällig sind und es auch in der Familie keine besonderen Augenerkrankungen gibt, dann führt diese Mutter-Kind-Pass-Untersuchung am ersten Geburtstag meistens der Kinderarzt durch. Die Untersuchung zum zweiten Geburtstag wird beim Augenarzt durchgeführt und ist schon eine recht umfangreiche Untersuchung, bei der fast alles abgedeckt werden kann. 

Abgesehen von Fehlsichtigkeiten und Grauem Star: Welche Augenerkrankungen kann es bei Kindern noch geben? 

Es gibt bei Kindern auch den sogenannten Grünen Star. Das ist eine Augendruckerhöhung, bei der der Sehnerv geschädigt wird. Auch hier ist Füherkennung wichtig! 

Und, auch wenn es sehr selten vorkommt, kann es auch bei Kindern Tumore im Auge geben. Der häufigste Tumor bei Kindern im Auge ist das sogenannte Retinoplastom (Anm. Tumor in der Netzhaut). Das ist auch wichtig, frühzeitig zu erkennen. Es gibt heutzutage sehr gute Therapien, meist Bestrahlungen, in Zentren in Deutschland, die sich darauf spezialisiert haben. 

Licht für die Welt versorgt mit seinem Programm “1, 2, 3 – I can see” Kinder in Mosambik, Äthiopien, Uganda und Burkina Faso mit Brillen. Wie wirkt sich das auf das Leben der Kinder aus? 

Durch eine korrigierte Sehschärfe werden Objekte richtig wahrgenommen. Das ist für die Entwicklung sehr wichtig und natürlich auch für die Schule wesentlich, damit die Kinder gut mitlernen können und eine gute Ausbildung erhalten. Zusätzlich kann eine Brille auch Kopfschmerzen verhindern und Blendung verringern. 

Danke für das Interview!

Dr. Irene Ruhswurm im gelben Licht für die Welt T-Shirt spricht mit zwei Erwachsenen in Mosambik
Dr.in Irene Ruhswurm bei einem Projektbesuch in Mosambik.

Es gibt noch viel zu tun!

Während die augenmedizinische Versorgung und Vorsorge für Kinder in Österreich, wie von Dr.in Irene Ruhswurm angeführt, sehr gut ist, sieht es in anderen Ländern ganz anders aus. Es gibt keine Vorsorgeuntersuchungen, bei denen Augenprobleme erkannt werden können, und oft zu wenig augenmedizinische Fachkräfte und Behandlungsmöglichkeiten. 

Licht für die Welt arbeitet daran, den Zugang zu augenmedizinischer Versorgung und das lokale Gesundheitssystem in unseren Projektländern in Afrika nachhaltig zu verbessern. 

Wir finden: Ein Tag im Jahr ist nicht genug, um auf die Wichtigkeit von Augengesundheit bei Kindern aufmerksam zu machen. Deshalb werden wir das Thema die nächsten Wochen auf unserer Webseite, den Social Media Kanälen und im Newsletter immer wieder aufgreifen. Freuen Sie sich auf Geschichten von Kindern, deren Augengesundheit sich dank unserer Spender*innen nachhaltig verbessert hat. Eines dieser Kinder ist die 2-jährige Deolinda. Sie war seit ihrer Geburt auf einem Auge fast blind und benötigte dringend eine Operation.